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Desideria Care Preis für Fotografie 2022 – Demenz neu sehen

„Aber warum soll man solche Themen verstecken?“

Im Gespräch mit Preisträgerin Lilli Nass, Berlin, Preisträgerin Kategorie „Nachwuchs“

Ⓒ Lilli Nass, Berlin
Im untenstehenden Protokoll erzählt Preisträgerin Lilli Nass, wie das Bild entstanden ist. Das Protokoll wurde aufgeschrieben von Reportagejournalist Manuel Stark und ist zum kostenfreien Abdruck freigegeben.

Die Geschichte hinter dem Bild (Wortlautprotokoll)

Mache ich dieses Foto jetzt? Oder lass ich‘s? Während meines Studiums an der Ostkreuzschule habe ich das analoge Mittelformat entdeckt. Das zwingt mich, genau zu überlegen. Das fand ich für das Thema respektvoll. Das erste Foto habe ich 2017 gemacht. Mein Vater bekam seine Diagnose in derselben Klinik, in der ich geboren wurde. Ich war 19, er 54. Das Bild war nicht geplant. Nur hatte ich die Kamera damals immerzu dabei, und dadurch konnte aus dem Moment auch etwas irgendwie Schönes entstehen. Wir haben ewig in diesen Aufenthaltsräumen gesessen, in diesem seltsamen Zwischenzustand. Da war keine Wut, mein Vater ist kein wütender Mensch. Aber ganz viel Trauer, auch bei mir. In mir war da aber auch etwas anderes: Erleichterung. Dass dieses seltsame Verhalten der letzten Monate endlich einen Namen hatte, eine nachvollziehbare Ursache. Nichts davon wollte ich mir anmerken lassen. Das hätte es für ihn nur schlimmer gemacht. In den Warteraum ist durch eine Fensterfront das Licht gefallen, es war Sommer. Ich wollte eine Verbindung zu ihm aufbauen und zeigen: Ich bin da. Und wir lenken uns jetzt kurz ab. Deswegen habe ich das Foto gemacht. Das Bild war erstmal ein intimer Moment zwischen uns.

Und bis wir zu diesem Moment gekommen sind, hat es lang gedauert. Wenn jemand Mitte 50 ist, vermutet man keine Demenz. Aber irgendwann wurde der Verdacht zu groß. Angefangen hat es mit Kleinigkeiten. Dass ich ihn gebeten habe, Dinge aus dem Supermarkt mitzubringen und er hat es ständig vergessen. Oder er wurde mitten im Gespräch still, weil er vergessen hat, was er gerade gefragt wurde. Beim Autofahren ging es häufiger über eine rote Ampel. Es ist diese Summe vieler kleiner Situationen, die einfach nicht zu meinem Vater gepasst haben. Er war Kunsthistoriker und ein sehr belesener Mensch, der immer sehr präzise in seiner Lebensführung war. Er hat mich auch gefragt, wann denn meine Abiturprüfungen seien. Dabei hatte ich die längst bestanden.

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