Fotografieren gegen die Flüchtigkeit der Zeit
Medienkünstlerin Sofia Jüngling ist neue Botschafterin des „Desideria Preis für Fotografie 2024 – Demenz neu sehen“
München, 02. Mai 2024 – Mit der Fotokamera gegen die Flüchtigkeit der Zeit: Die österreichische Medienkünstlerin Sofia Jüngling begleitet das Leben ihres Vaters unaufhaltsam mit dem Blick durch die Linse. Die 26-Jährige lebt seit etlichen Jahren mit ihrem dementiell veränderten Papa in einer selbst gegründeten inklusiven Wohngemeinschaft am Stadtrand von Linz. Die Kamera gehört dabei zu ihrem gemeinsamen Alltag. Die Bilder und Filme veröffentlicht Sofia auf Instagram und Youtube. Tausende folgen ihr dort. Jetzt engagiert sie sich auch als Botschafterin für den mit 10.000 Euro dotierten „Desideria Preis für Fotografie 2024 – Demenz neu sehen“.
„Beim Thema Demenz setzt man sich ja ständig mit der Flüchtigkeit von Momenten auseinander. Mit dem Fotografieren kann ich Erinnerungen festhalten“, erklärt Sofia die Bedeutung der Fotografie im Verhältnis zu ihrem Vater. „Das Fotografieren war für mich ein Anknüpfungspunkt und hat viel dazu beigetragen, dass sich meine Beziehung zu mir und zu meinem Paps verändert und intensiviert hat.“ In ihrer Ausbildung dreht sich alles um die mediale Wahrnehmung der Wirklichkeit: Sofia studiert „Zeitbasierte und Interaktive Medienkunst“ an der Kunstuniversität in Linz. Als Botschafterin für den Fotopreis möchte Sofia dazu ermutigen, sich durch die Kamera mit der eigenen Situation und auch mit der von Menschen mit Demenz auseinanderzusetzen. „Man lernt die Menschen und sich selbst ein näher kennen“, weiß sie.
„Fotografie schärft den Blick und lässt uns innehalten. Sie gibt Emotionen, Ausdruck und Erinnerungen Raum. Schon als Kind hat es mich fasziniert, die Bilder nicht nur auf meiner Netzhaut festzuhalten. Später hat sie mich meinem Papa nähergebracht. Sie verbindet uns, als geteilte Leidenschaft und als Dokumentation unserer gemeinsamen Geschichte.“ Sofia Jüngling
Sofia Jüngling engagiert sich zudem aktiv für die Situation junger pflegender Angehöriger und ist weit über die österreichische Landesgrenze hinaus in der Öffentlichkeit bekannt. Sie spricht offen darüber, wie sie es erlebt, die Tochter eines dementiell veränderten Vaters zu sein. Sofia hat mit 22 Jahren die Pflegeverantwortung für ihn übernommen. Somit ist sie ein Young Adult Carer, ein junger erwachsener Mensch, der sich regelmäßig um einen hilfsbedürftigen Angehörigen kümmert. Auf Konferenzen oder in den Medien spricht sie zum Thema (junge) Pflegende Angehörige. „Mir ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass sich das Leben von Young Carers von dem anderer junger Menschen spürbar unterscheidet. Wir übernehmen meist sehr früh viel Verantwortung für das Leben unserer Angehörigen“.
Wer Sofias Auftritten in den Sozialen Medien unter dem Titel ‚unserekleinen.dahamas‘ folgt, sieht schnell, dass der Vater auch große Freude daran hat, wenn seine Tochter ihn fotografiert. Oft inszeniert sie das Fotografieren als gemeinsames Event. „Paps hat früher auch fotografiert. Jetzt haben wir die Rollen getauscht: Früher hat er mit Dias von mir und meiner Schwester unsere Regale gefüllt. Heute mach‘ ich das, wenn auch meist in digitaler Form“.
Wie kam es zu dem Namen ‚unserekleinendahamas‘ für den Instagram Account? „Mein Paps fragt gerne: ‚Wo ist es am schönsten?‘ Die richtige Antwort lautet: ‚Auf den Dahamas. So wie Bahamas, aber eben daheim‘. Und ‚unserekleinen‘ ist eine Anspielung auf ‚unsere kleine Farm‘ von Laura Ingalls Wilder.“ Sofia Jüngling
Sofia möchte außerdem zeigen, dass sie als Young Carer sehr wohl ein schönes und zumindest auch zum Teil selbstbestimmtes Leben führen kann. Besonders wichtig an ihrer Beziehung sei, „dass sie trotz allem auf Augenhöhe stattfindet und wir beide die Liebe vom anderen gut spüren können“. Das empfiehlt die angehende Medienkünstlerin also Botschafterin des Desideria Preises auch anderen Fotograf*innen: die Freude zu spüren und das Spielerische zuzulassen. „Gemeinsames Experimentieren kann einfach auch schöne Erinnerung im Herzen erschaffen“, ist sie überzeugt.
Über den „Desideria Preis für Fotografie – Demenz neu sehen“
Das Leben mit Demenz aus einer neuen Perspektive wahrnehmen: Dazu lud vom 1. August 2023 bis 15. Juni 2024 zum zweiten Mal der Fotowettbewerb „Desideria Preis für Fotografie - Demenz neu sehen“ ein. Profi-Fotograf*innen, Nachwuchstalente und Amateure aus Deutschland und Österreich waren aufgerufen, mit ihrer Kamera besondere und ungewöhnliche Augenblicke aus dem Alltag mit Demenz einzufangen. Der Jury gehören hochkarätige Repräsentanten der Fotoszene an. Der Fotopreis ist mit insgesamt 10.000 Euro dotiert.