Direkt zum Inhalt

"Mir hat es geholfen, offen für Neues zu sein und mir Unterstützung für zuhause zu suchen"

Christel Bucksch ist 79 Jahre alt und lebt in Freising. Ihr Mann Walter, 84 Jahre, hatte vor acht Jahren einen Schlaganfall. Körperlich erholte er sich gut, aber es zeigten sich immer mehr Anzeichen einer Demenz. „Es war eine große Herausforderung, mit meinem Mann darüber zu sprechen“, erinnert sich Christel Bucksch. Die Krankheit brachte immer wieder neue Veränderungen und Probleme „Mir hat es geholfen, offen für Neues zu sein und mir Unterstützung für zuhause zu suchen“, sagt sie. Seit einem Jahr wohnt eine mexikanische Studentin, nach der Idee von „Wohnen gegen Hilfe“, bei dem Ehepaar Bucksch. Es sei eine Überwindung gewesen, jemanden ins Haus zu lassen, aber schnell habe sie gemerkt, dass es allen gut tut. Christel Bucksch berichtet von ihrem Arrangement und macht Mut, Neues auszuprobieren.

Meine Herausforderung

Mein Mann Walter und ich hatten nie darüber gesprochen, wie es wäre, wenn einer von uns Hilfe benötigt. In seiner Familie gab es eine Oma und ein Onkel, die eine Demenz hatten, aber dass das mal bei uns Thema werden könnte, daran haben wir nicht gedacht. Nach dem Schlaganfall vor acht Jahren entwickelte Walter dann eine vaskuläre Demenz. Mir fiel es zuerst daran auf, dass er sich nicht mehr orientieren konnte. Er fuhr gerne Fahrrad, aber manchmal kam er verwirrt zurück und wusste nicht, wohin er eigentlich fahren wollte. Oder er ließ sein Rad irgendwo stehen und konnte sich nicht daran erinnern. Es war eine Herausforderung, mit meinem Mann über diese Veränderungen zu reden. Ich habe ihn einmal auf die zunehmende Vergesslichkeit angesprochen, da meinte er verärgert: ‚Du willst ja wohl nicht sagen, dass ich dement bin.“ Ja, was macht man da? Ich fand es am Anfang schlimm, auch weil ich nicht wusste, an wen ich mich wenden konnte und mich damit allein gefühlt habe.

Das habe ich gemacht

Nach der Diagnose sagte die Ärztin, dass ich auf Dauer Hilfe brauchen werde. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Durch die Ärztin hatte ich den Kontakt zur Caritas und habe dort einen Kurs für Angehörige gemacht. Ich weiß noch, wie ich dachte: ‚Wieso soll ich einen Pflegegrad für Walter beantragen? Was soll das bringen?‘ Doch es war gut, dass ich da erstes Wissen zum Pflegen und zu Demenz bekam. Im Alltag war es anfangs oft schwierig, weil ich Walters Verhalten nicht einordnen konnte. Er sprach und wirkte so wie immer, aber er verhielt sich anders, irgendwie unwillig. Es kam zu Diskussionen, auch weil ich dachte, er müsste das doch kapieren. Ich war zunehmend damit beschäftigt, ihn zu beschäftigen und das kostete Kraft. Walter hat immer gern gebastelt. Meine Tochter hat ihm geholfen, sein großes Modellschiff fertigzustellen. Später hat er Herrnhuter Sterne gebastelt. Feinmotorisch ging das wunderbar. Manches klappt auch heute noch gemeinsam, wie Apfelscheiben trocknen oder Walnüsse aufsammeln. Aber ich stehe immer in der Verantwortung, das strengt an. Mein Hobby ist das Bridgespielen. Seit Jahren ist dienstags mein Bridge-Nachmittag und diese Auszeit hat mir immer Kraft gegeben. Zu Beginn konnte ich Walter noch alleine lassen, irgendwann nicht mehr. Meine Kinder unterstützten uns, aber sie sind ja in ihren Alltag mit Beruf und Familie eingebunden. Über das Studierendenwerk habe ich dann einen Aushang an der Universität gemacht und eine Studentin gesucht, die gegen Hilfe bei uns wohnen möchte. Nur ein paar Stunden später hat sich Fernanda gemeldet, eine junge Studentin aus Mexiko. Sie kam ein paar Tage später vorbei und wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Seit über einem Jahr wohnt sie bei uns.

Was ich gelernt habe

Im Laufe der Jahre mit Walters Demenz war ich immer wieder gefordert, mich anzupassen und auf etwas Neues einzulassen. Jemanden zu suchen und bei uns wohnen zu lassen, hat mich Überwindung gekostet. Aber dadurch habe ich Unterstützung gefunden und wieder mehr Zeit für mich und kann auftanken. Und das ist so wichtig geworden, denn mit Walter kann ich mich nicht mehr austauschen. Außerdem bin ich ja die ganze Zeit in der Verantwortung. Walter geht mittlerweile auch montags bis freitags in eine Tagespflegeeinrichtung, aber es ist zu Hause einfach anstrengend ganz alleine. Fernanda tut uns gut, weil sie Fröhlichkeit, Herzenswärme und jugendliche Leichtigkeit mitbringt. Sie sorgt aber auch für eine gewisse Stabilität und Verlässlichkeit. Ich denke, das es wichtig ist, dass man genau vertraglich festhält und bespricht, was man erwartet. Bei uns sind es 23 Stunden Mithilfe im Garten und bei der Betreuung. Mir war zum Beispiel wichtig, dass Fernanda Dienstag nachmittags bei Walter ist, damit ich Bridge spielen kann. Sie gehen in der Zeit spazieren, schauen fern und essen Abendessen. Walter kommt sehr gut mit ihr aus. Für ihn ist sie ein netter Besuch. Mein Mann hat früher gut Englisch gesprochen. Neulich hat er mich überrascht, da sagte er zu Fernanda: ‚You can stay as long as you want to.‘“ Auch wenn es schwer ist, es lohnt sich, Neues auszuprobieren.

Das sollte sich ändern

Ich kenne die Idee von „Wohnen gegen Hilfe“ schon länger und finde sie super. Als ich mich diesbezüglich einmal erkundigt habe, hieß es, dass Menschen, die Pflege benötigen, davon ausgeschlossen sind. Das ärgert mich. Warum denkt man denn so in Schubladen? Demenz ist ja ein weites Feld und man kann den Menschen schon zutrauen, dass sie selber einschätzen können, was sie benötigen. Ich brauche ja für Walter keine Person, die körperliche Pflege übernimmt, sondern einfach jemanden, der regelmäßig Dienstag nachmittags bei uns ist, mit Walter Zeit verbringt und ein gutes Gemüt hat. Ich glaube, dass es vielen Menschen so geht wie uns. Ich weiß auch aus Walters Tagespflege, dass der Fachkräftemangel ein Problem ist. Aber die Menschen werden nun mal krank und älter und benötigen Hilfe. Da müssen wir in der Gesellschaft doch offener werden und kreative Lösungen finden. Denn feststeht auch, dass es überfordert, wenn eine Person allein pflegen muss.

Als ihr Mann Walter an Demenz erkrankte, war Christel Bucksch noch nicht klar, wie herausfordernd die Krankheit im Alltag werden würde. Doch die Diskussionen, die Betreuung, die Verantwortung, all das wurde im Laufe der Demenz immer anstrengender. „Ich war zunehmend damit beschäftigt, ihn zu beschäftigen und das kostete Kraft“, sagt Christel Bucksch. Seit vielen Jahren war dienstags ihr Bridge-Nachmittag, diese Auszeit hatte ihr immer Kraft gegeben. Nun aber hatte sie kaum mehr Zeit dafür. Nach der Idee von „Wohnen gegen Hilfe“ hat die 79-jährige Freisingen sich Hilfe organisiert. „Jemanden zu suchen und bei uns wohnen zu lassen, hat mich Überwindung gekostet. Aber dadurch habe ich Unterstützung gefunden und wieder mehr Zeit für mich und kann auftanken“, erzählt Christel Bucksch. Seit einem Jahr wohnt eine mexikanische Studentin bei Familie Bucksch. Fernanda tue ihnen gut, weil sie Fröhlichkeit und Herzenswärme mit sich bringen. Aber sie sorge auch für Stabilität und Verlässlichkeit. Christel Bucks wünscht sich mehr Offenheit und Mut, dass auch Kommunen solche Lösungen anbieten oder unterstützen.  

Weitere inspirierende Geschichten aus dem Alltag

„Hoffnungslosigkeit ist wie Glück. Sie bleibt nicht ewig“

Robert Urban, 62 Jahre, lebt in München. Seine Frau Claudia erkrankte vor vier Jahren an Alzheimer. Robert arbeitet als freier Autor und Kreativ-Direktor.

Geschichte lesen
Frau Peggy Elfmann

„Wer sich aus der Ferne kümmert, braucht ein gutes Netzwerk vor Ort“

Peggy Elfmann wohnt mit ihren Kindern in München und arbeitet dort als Journalistin. Peggys Mutter Kerstin bekam vor zwölf Jahren die Diagnose Alzheimer. Peggy begleitet sie bis zu ihrem Tod. Eine Herausforderung in dieser Zeit ist die große Distanz. Ihre Mutter lebte 350 Kilometer von ihr entfernt.

Geschichte lesen

„Erst der offene Umgang mit dem Thema Demenz, hat mir im Job Freiheit verschafft.“

Stefanie Wagner-Fuhs, 56 Jahre, lebt in München. Ihre Mutter hatte Demenz und wohnte anfangs in Hamburg. Stefanie war immer berufstätig in leitenden Funktionen und mit Personalverantwortung für bis zu 200 Leute.

Geschichte lesen

„Offenheit bringt mehr Lebensqualität“

Heide Hällfritzsch, 76 Jahre, lebt in München. Ihr Mann Klaus hat vor fünf Jahren die Diagnose frontotemporale Demenz bekommen. Heide kümmert sich um ihn, unterstützt von ihren Kindern. Klaus verbringt drei Tage pro Woche in einer Tages- und Nachtpflegeeinrichtung.

Geschichte lesen
Nadine Overkamp

„Die Demenz meiner Mama bringt viele Probleme, die wir in der Familie schon lange haben, ans Licht.“

Nadine Overkamp ist 47 Jahre alt und arbeitet als Verwaltungsangestellte an der Ruhr-Universität in Bochum. Ihre Mutter Rita erhielt 2019 die Diagnose Demenz. Nadine begleitet ihre Eltern auf dem Weg mit der Erkrankung – dabei tun sich alte Rollenmuster und damit verbundene Probleme auf. Sie möchte ihrer Mama helfen, aber spürt oft, dass ihr Vater andere Vorstellungen davon hat, wie diese Hilfe aussehen sollte. Nadines Strategie: sich mit anderen Angehörigen zu vernetzen und sich Auszeiten nehmen. Das gibt ihr Kraft, für ihre Mutter da zu sein.

Geschichte lesen

„Als Jugendliche habe ich mir gewünscht, dass mal jemand genauer hinter die Fassade blickt.“

Melanie Liebsch ist 34 Jahre alt und arbeitet als Angestellte im öffentlichen Dienst in Stuttgart. Als Melanie zehn Jahre alt war, erkrankte ihr Vater an einer frontotemporalen Demenz. Lange hatte er jedoch keine Diagnose. Die Verhaltensveränderungen bestimmten allerdings den Alltag der Familie – und belasteten Melanies Kindheit und Jugend. Nach der Diagnosenstellung lernte sie einen selbstbewussten Umgang mit der Erkrankung und begleitete ihren Vater bis zu dessen Tod. Heute engagiert sie sich für andere Angehörige.

Geschichte lesen

„Es ist ein enormer Spagat für mich: ein eigenes Leben aufzubauen und gut für Mama zu sorgen. “

Anna Asenkerschbaumer ist 35 Jahre alt, lebt in Traunstein und arbeitet als Vertriebsingenieurin. Vor fünf Jahren erhielt ihre Mutter Faride die Diagnose Alzheimer. Anna änderte damit auch ihr Leben und zog aus Brasilien zurück in ihre Heimatstadt. „Meine Mama ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich für sie da sein möchte“, sagt Anna. Und doch sind da Wut, Sorgen, Ängste und Zweifel. In den vergangenen Jahren sei sie in ihre Aufgaben hineingewachsen, so Anna. Und noch etwas habe sich verändert: „Ich habe mir meine Selbstbestimmung zurückgeholt mit der bewussten Entscheidung Mama mit dieser Krankheit begleiten zu wollen“, sagt die Traunsteinerin. Zu wissen, dass sie vieles gestalten könne, hilft ihr. So wie die Liebe. „Die Liebe zu meiner Mutter ist so groß, die trägt mich auch durch schwierige Momente“, erzählt Anna.

Geschichte lesen

Der Desideria Newsletter

Mit unserem Desideria Newsletter bleiben Sie auf dem Laufenden und erhalten Neuigkeiten zu unseren Unterstützungsangeboten, Aktionen in der Öffentlichkeit und Veranstaltungen.

Hier zum Newsletter anmelden