„Menschen mit Demenz haben Freude daran etwas zu erschaffen.“
Als meine Oma Anna vor fünf Jahren die Diagnose Demenz bekam, war das eigentlich keine Überraschung. Ich studierte damals Design in den Niederlanden, hatte mich schon immer für das Thema Demenz interessiert und führte in Pflegeheimen kreative Projekte durch. An meiner Oma habe ich typische Veränderungen bemerkt: Sie hat die immer gleichen Dinge erzählt, hat sich unterwegs verirrt und vergaß oft Haarewaschen und Duschen. Ich vermutete, dass eine Demenz hinter den Anzeichen steckte. Die Diagnose ging also nicht mit einem Schock einher, wie das bei vielen ist. Aber sie hat mir Angst gemacht. Ich hatte Angst, dass meine Oma sich verändert, denn ich hatte durch meine Tätigkeit in Pflegeheimen auch gesehen, was die Krankheit mit vielen Menschen macht und dass der Demenzprozess für Betroffene und Angehörige sehr schwierig werden kann. Zugleich hatte ich oft beobachtet, dass Menschen mit Demenz nicht mehr ernst genommen werden. Sie werden von ihrem Umfeld nicht mehr einbezogen, ihnen wird nichts zugetraut. Das wollte ich anders machen.
Ich habe mit meiner Oma einfach alles so gemacht wie immer. Wir haben Ausflüge gemacht und sind Essen gegangen. Am liebsten ging Oma bayerisch essen. Wir verbrachten viel Zeit zusammen. Ganz normaler Oma-Enkel-Alltag. Wir hatten schon immer eine enge und liebevolle Beziehung. Meine Oma war aber auch sehr strukturiert und ein wenig unnahbar. Ich dachte, dass das vielleicht mit ihrer Erfahrung als Kriegskind zu tun hat, aber sie wollte nie darüber sprechen. In ihrer Demenz wurde Oma entspannter und offener, und sie begann von früher zu erzählen, von ihrer Kindheit und Jugend. Oma hat oft dieselben Geschichten wiederholt, aber es war mir egal. Es war schön, ihr zuzuhören und es schuf eine neue Nähe. Dadurch traute ich mich, offener von meinem Leben und meinen Alltagsdramen zu erzählen. Ich weiß nicht, ob Oma sich danach daran erinnern konnte, aber in dem Moment des Erzählens waren wir sehr verbunden. Wir haben manches gemacht, was wir vorher nie gemacht hatten: Wir sind beim Spazieren Hand in Hand gegangen, und auf dem Sofa haben wir uns aneinander gekuschelt. So nah sind wir uns früher nie gewesen.
Es ist ein großes Missverständnis, wie oft mit Menschen mit Demenz umgegangen wird. Das Umfeld und auch Angehörige möchten sie häufig schonen und ihnen Dinge abnehmen, aber das führt auch dazu, dass sie am Alltag nicht teilhaben. Sie werden nicht mehr ernst genommen und ziehen sich zurück. Ich habe durch meine Oma und meine Kreativ-Projekte gelernt: Menschen mit Demenz können noch so viel. Sie haben große Freude daran, etwas zu erschaffen. Das künstlerische, kreative Arbeiten bietet sich an, denn es lässt viele Freiheiten. Für meine Abschlussarbeit habe ich ein Spiel für Menschen mit Demenz entwickelt. Ich hatte in den Pflegeheimen gesehen, dass dort oft Kinderspiele verwendet wurden und das kam bei vielen nicht gut an. Das ist nachvollziehbar, denn Menschen mit Demenz sind keine Kinder. Aber viele haben Freude an kreativen Beschäftigungen. Mein Spiel besteht aus erwachsenen Materialien, aus Metall und Holz, und es gibt viele Möglichkeiten, damit gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Gerade das Miteinander fällt ja oft schwer. Menschen mit Demenz fehlt oft der Antrieb und pflegende Angehörige meistern viel Verantwortung und Aufgaben im Alltag. Ich möchte, dass sie sich spielerisch begegnen können und gemeinsam etwas erschaffen. Mein größtes Learning aus der Begleitung meiner Oma ist: Die Krankheit bedeutet nicht, dass man die Person verliert, aber das Verhältnis verändert sich. Es hilft, wenn man Leichtigkeit hineinbringen kann, durch gemeinsame Aktivitäten.
Ich wünsche mir, dass wir der Kreativität und künstlerischen Aktivitäten mehr Raum geben und solche Projekte und Angebote mehr fördern. Es geht nicht darum, dass Menschen eine bestimmte Sache basteln, sondern um diese Freude am Gestalten und daran, etwas selbst zu erschaffen. Das schafft Selbstvertrauen und tut gut. Gemeinsame Aktivitäten stärken das Miteinander und davon profitieren beide. Ich fände es schön, wenn Menschen mit Demenz und überhaupt die Pflege nicht wie auf abgeschotteten Inseln am Rande der Gesellschaft stattfindet. Man könnte so viele Projekte machen, auch mit Schülern und Schülerinnen. Demenz gehört zum Leben dazu. Ich glaube, wir alle können viel voneinander lernen.
Als Leahs Oma Anna die Diagnose Demenz bekam, nahm sich die Designerin vor, es anders zu machen. Sie hatte oft beobachtet, dass Menschen mit Demenz von ihrem Umfeld nicht mehr einbezogen werden und am Alltag nicht teilhaben. Leah sagt: „Ich habe mit meiner Oma einfach alles so gemacht wie immer.“ Sie machten kleine Ausflüge, gingen ins Restaurant und führten Gespräche. Ihre Oma fing an, von ihrer Kriegskindheit zu erzählen. „Oma hat oft dieselben Geschichten wiederholt, aber es war mir egal. Es war schön, ihr zuzuhören, und es schuf eine neue Nähe. In dem Moment des Erzählens waren wir sehr verbunden“, erzählt Leah. Die 29-Jährige arbeitet in künstlerischen Projekten mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen, derzeit in Bogotá, Kolumbien. „In meinen Projekten geht es darum, sich spielerisch zu begegnen, etwas zu erschaffen und miteinander eine schöne Zeit zu verbringen“, berichtet Leah. Sie wünscht sich mehr Unterstützung für solche Angebote. Leah sagt: „Ich glaube, wir alle können viel voneinander lernen.“